Kretschmanns Vorstoß ist verfassungswidrig – und ein weiterer Schritt Richtung militarisierte Wissenschaft
Vor rund drei Wochen – am 28. Mai 2025 – traf sich Ministerpräsident Kretschmann in Stuttgart mit Vertretern aus Wirtschaft, Forschung, Verbänden und der Bundeswehr und erklärte klipp und klar: Baden‑Württembergs Universitäten müssten künftig auch militärische Forschung leisten, selbst wenn sie bisher durch Zivilklauseln auf zivile Projekte festgelegt seien – denn: „Die Zivilklauseln dienen ja dem Frieden … Wir rüsten auf, um Krieg zu verhindern.“
Ein harmloser Vorschlag? Keineswegs. Es ist ein direkter Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit – und zugleich ein weiterer Baustein in dem sich aufbauenden Gebäude der gesellschaftlichen Militarisierung.
Die Zivilklausel ist eine ethisch und demokratisch legitimierte Selbstverpflichtung vieler Hochschulen, Forschung ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken zu widmen. Sie entstand unter anderem als Konsequenz aus der deutschen Geschichte – insbesondere aus der willigen Beteiligung der Wissenschaft am NS-Unrecht und der Rüstungsindustrie. Wer das in Frage stellt, sägt nicht nur an einem Grundpfeiler akademischer Verantwortung, sondern an der Verfassung selbst.
Denn: Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes garantiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Und Artikel 20 Absatz 1 der baden-württembergischen Landesverfassung stellt unmissverständlich klar: „Die Hochschule ist frei in Forschung und Lehre.“ Diese Freiheit umfasst auch das Recht, sich gegen Rüstungsprojekte und militärische Kooperationen zu entscheiden. Kretschmanns Vorstoß, Hochschulen militärischer Forschung zu öffnen, verletzt diesen Kern des Grundrechts.
Das zeigt einmal mehr, worum es bei der sogenannten „Zeitenwende“ wirklich geht – oder besser: wie sie von militaristischen Kräften genutzt wird. Was als pragmatische Notwendigkeit verkauft wird, ist in Wahrheit ein politischer Kurswechsel mit weitreichenden Folgen: die gezielte Ausweitung des Militärischen in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Erst die Milliarden für Waffen. Dann die Veteranenorden. Jetzt die Hochschulen. Wer behauptet, das alles diene der Sicherheit, hat entweder eine sehr kreative Vorstellung von Frieden – oder will ganz bewusst eine Gesellschaft formen, in der zivile Konfliktbearbeitung, Abrüstung und Diplomatie systematisch an den Rand gedrängt werden.
Wer Wissenschaft zur Erfüllungsgehilfin militärischer Interessen macht, greift direkt in ihre gesellschaftliche Funktion ein. Hochschulen sind keine Zulieferbetriebe für künftige Kriege, sondern Orte des kritischen Denkens, der internationalen Verständigung und der Entwicklung ziviler Lösungen. Genau dafür brauchen sie ihre Unabhängigkeit – nicht als Dekoration, sondern als grundlegende Voraussetzung für freie Forschung und Lehre.
Wir fordern daher:
- Ein klares Bekenntnis zur zivilen, friedensorientierten Wissenschaft – und keine schleichende Militarisierung durch die Hintertür.
- Investitionen in Friedens- und Konfliktforschung, statt neue Geldtöpfe für Rüstungskooperationen.
- Die Achtung demokratischer Selbstverwaltung und der Willensbildung an Hochschulen – insbesondere durch Studierende und akademische Gremien.
Die Militarisierung beschränkt sich längst nicht mehr auf Kasernen und Bundeswehrhaushalte – sie greift über in Sozialpolitik, in öffentliche Erinnerungskultur und nun auch in die Wissenschaft. Umso wichtiger ist es, dass wir uns einmischen – an den Hochschulen, in der Zivilgesellschaft, auf der Straße. Denn eine friedliche Gesellschaft braucht nicht weniger, sondern mehr demokratischen Widerspruch.