Beitrag von Klaus Pfisterer, Landesvorsitzender DFG-VK Baden-Württemberg
Seit dem 1. Juli 2011 ist die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt und bis zum Ukraine-Krieg gab es jährlich 100 bis 150 Kriegsdienstverweigerer, Soldatinnen und Soldaten sowie Reservisten. Die KDV-Beratung der Deutschen-Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFG-VK), der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung (EAK) und kirchlichen Beratungsstellen kam zum Erliegen.
Mit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich die Situation geändert. Die KDV-Zahlen steigen seitdem deutlich an, von 2022 bis Ende 2024 sind es schon mehr als 5.000 KDV-Anträge.
Jahr | Ungediente | Soldat*innen | Reservist*innen | Gesamt |
2022 | 450 | 235 | 438 | 1.123 |
2023 | 835 | 178 | 596 | 1.609 |
Bis 31.8.24 | 1.268 | 92 | 693 | 2.053 |
Quelle: Antwort des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 16.10.2024 auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag
Wenngleich die Zahlen im Vergleich zu Zeiten der Wehrpflicht deutlich niedriger sind, wenden sich viele Ratsuchende an die DFG-VK sowie EAK und bitten um Unterstützung bei der Antragstellung und dem Verfassen der Begründung.
Wer wendet sich an uns?
Menschen, die befürchten, dass Deutschland in den Ukraine-Krieg hineingezogen wird und sie als Soldatin/ Soldat eingesetzt werden könnten. Das sind fast ausschließlich Männer und nur vereinzelt Frauen.
Es werden drei Gruppen unterschieden:
1. Ungediente
2. Soldatinnen und Soldaten
3. Reservistinnen und Reservisten
Für alle drei Gruppen ist das KDV-Verfahren gleich, aber in der Beratung der Gruppen gibt es erhebliche Unterschiede.
1. Beratung von Ungedienten
Die größte Gruppe ist die der Ungedienten, die vorsorglich einen KDV-Antrag stellen wollen, obwohl sie derzeit keinen Dienst leisten müssen. Solange die Wehrpflicht ausgesetzt bleibt, müssen Ungediente keinerlei Dienst leisten. Ihnen raten wir der Datenweitergabe an die Bundeswehr zu widersprechen, damit sie keine Werbepost von der Bundeswehr erhalten.
Wenn sie trotzdem vorsorglich einen KDV-Antrag stellen möchten, müssen sie die Musterung beim zuständigen Karrierecenter der Bundeswehr beantragen. Auch davon raten wir erst mal ab, da man der Bundeswehr nicht unnötig seine Daten zur Verfügung stellt.
Wer das trotzdem machen möchte, beantragt seine Musterung mit dem Hinweis, dass man den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissengründen verweigern will. Bei der Musterung wird entschieden, ob man verwendungsfähig ist. Nur wer tauglich gemustert wird, kann einen KDV-Antrag stellen. Wer untauglich (T 5) gemustert wird, kann keinen KDV-Antrag stellen, weil er nicht verwendungsfähig ist.
2. Soldatinnen und Soldaten
Aktive Soldatinnen und Soldaten ist die kleinste Gruppe, hier stellen überwiegend Zeitsoldat*innen einen KDV-Antrag. Sie stellen den KDV-Antrag direkt beim zuständigen Karrierecenter der Bundeswehr und informieren anschließend den Vorgesetzten in der Truppe. Sie stellen den Antrag auf waffenlosen Dienst in der Bundeswehr und werden beim KDV-Verfahren vorrangig behandelt.
Allerdings ist die Gruppe der ausscheidenden Soldat*innen aus der Bundeswehr um ein Vielfaches größer. Rund 25 Prozent derjenigen, die sich zum „Freiwilligen Wehrdienst“ gemeldet hatten, verließen die Bundeswehr während der sechsmonatigen Probezeit wieder.
3. Reservistinnen und Reservisten
Ihre Kriegsdienstverweigerung ist eine klare Antwort auf und deutliche Ablehnung der Pläne von Verteidigungsminister Pistorius, der Deutschland wieder ‚kriegstüchtig‘ machen möchte. Gerade den Reservist*innen soll nach Plänen des Ministeriums in den Kriegsplanungen eine bedeutende Rolle zugwiesen werden. Sie stellen ihren KDV-Antrag beim zuständigen Karrierecenter der Bundeswehr.
Zudem erhalten wir viele Anfragen von besorgten Eltern, die um Rat für ihre Kinder erfragen. Oft haben die Väter selbst verweigert, kennen sich aber mit dem heutigen Verfahren nicht aus.
Unterlagen und KDV-Verfahren
Für die KDV-Antragstellung werden folgende Schriftstücke benötigt:
1. KDV-Antrag unter Berufung auf Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“
2. Tabellarischer Lebenslauf
3. Ausführliche schriftliche Darlegung der Beweggründe (sollte mehrere Seiten umfassen)
Alle Unterlagen zusammen werden mit Einschreiben per Rückschein an das zuständige Karrierecenter der Bundeswehr geschickt. Das Karrierecenter bestätigt den Eingang der Unterlagen und leitet sie an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) nach Köln weiter, das im rein schriftlichen Verfahren entscheidet. Mündliche Anhörungen finden keine statt.
Vor der Antragstellung sollte man sich beraten lassen, um Fehler zu vermeiden.
KDV-Verfahren beim BAFzA
Das Anerkennungsverfahren kann mehrstufig sein.
Die Mitarbeiter*innen des Bundesamtes prüfen zunächst die Vollständigkeit der Unterlagen. Fehlt etwas, wird es mit einer Fristsetzung nachgefordert.
Sind die Unterlagen vollständig und die Begründung stimmig, erfolgt die Anerkennung.
Gibt es zur Begründung Nachfragen müssen diese binnen 4 Wochen beantwortet/nachgereicht werden. Die Folge: Anerkennung oder Ablehnung.
Bei Ablehnung kann man Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen und es kommt zum Widerspruchsverfahren. Die Folge: Anerkennung oder Ablehnung.
Wird der Antrag abgelehnt kann man Klage vor dem Verwaltungsgericht einreichen. Hierzu sollte ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden. Wird der Antrag vom Verwaltungsgericht abgelehnt, kann man nach einiger Zeit einen neuen Antrag, sogenannter Zweitantrag, mit neuen Gründen stellen und das Verfahren beginnt wieder von vorn.
Durch Bundestagsanfragen konnten in Erfahrung gebracht werden, dass 2023 rund 87% der Anträge anerkannt und 13% abgelehnt wurden. Bis September 2024 wurden 81% der Anträge anerkannt und 19% abgelehnt. Es bleibt festzustellen, dass mit zunehmender Verweigerer-Zahlen auch die Ablehnungen steigen. Die beiden Ablehnungsgründe sind Unvollständigkeit der Unterlagen und Unzulässigkeit, wobei völlig unklar bleibt, was unter dem Begriff Unzulässigkeit verstanden wird.
KDV-Beratung heute
Während früher viele DFG-VK Gruppen vor Ort Beratung angeboten haben, sind die Strukturen heute weitestgehend weg. Das KDV-Beratungsnetz von früher gibt es nicht mehr und es müssen neue Strukturen aufgebaut werden.
Früher waren unsere Beratungsadressen stadtbekannt und die jungen Menschen kamen in die Beratungsstellen der Ortsgruppen. Heute melden sich die Ratsuchenden telefonisch oder per mail in der Bundesgeschäftsstelle oder bei den Landesverbänden.
In Baden-Württemberg sind wir seit einiger Zeit dabei mit Schulungen Aktive für die KDV-Beratung zu qualifizieren. Wir haben dazu Konzepte erarbeitet, wie die einzelnen Gruppen zu beraten sind. Ungediente benötigen eine andere Beratung als Soldaten oder Reservisten.
In Tagesseminaren haben wir gruppenspezifisch Schulungen durchgeführt und anhand von Fallbespielen anonymisierte Begründungen analysiert und besprochen. Intensive persönliche Beratungen, vor allem von Reservisten, führen wir per zoom durch. Wir bilden Berater*innen-Tandems, die mit Einverständnis des Ratsuchenden, KDV-Beratungen durchführen. Dadurch können Neueinsteiger*innen langsam in die Beratungsarbeit herangeführt werden. Wir schulen auch Frauen als KDV-Berater*innen. Sie können genauso kompetent beraten wie Männer. Das ist für manchen Antragsteller erst einmal ungewöhnlich, wird aber akzeptiert. Dadurch konnten wir unser Beratungsteam stetig erweitern und die Arbeit regional auf mehrere Schultern verteilen.
Verteidigungsminister Pistorius fehlen die Soldat*innen, um das Land wieder ‚kriegstüchtig‘ machen zu können. Um die fehlenden Soldat*innen zu gewinnen hatte er einen Gesetzentwurf vorbereitet, der mittels Zwangserfassung von 300.000 jungen Männern und dem verpflichtenden Ausfüllen eines Fragebogens das benötigte Personal auf freiwilliger Basis rekrutieren sollte. Diese Pläne wurden nach dem Ampel-Aus erst mal zu den Akten gelegt. Wie es nach der Bundestagswahl weitergeht ist völlig offen. Wie sieht eine neue Regierungskoalition aus und welche Pläne verfolgen die einzelnen Parteien in Sachen (Wehr-) Dienst? Das wird man vielleicht den Wahlprogrammen der Parteien entnehmen können.
Unter einer CDU/CSU geführten Regierung droht eine Wiedereinführung der Wehrpflicht unter Einbezug von Frauen, bis hin zu einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen. Letzteres verbietet das Grundgesetz, aber CDU und CSU streben dafür eine Änderung des Grundgesetzes an. Allerdings benötigen sie dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat. Dem gilt es energisch zu widerstehen.
Als DFG-VK sind wir gegen jede Art von Pflicht- oder Zwangsdienst. Dazu gehört schon die Zwangserfassung ganzer Jahrgänge. Das würde in die Freiheitsrechte eines jeden Einzelnen eingreifen und wird von uns strikt abgelehnt.
Wir bereiten uns auf eine mögliche Verweigerer-Welle vor, falls es ein Gesetz für mehr Pflichtdienst geben sollte. Wir stellen schon jetzt ein erhöhtes Anfrageaufkommen nach KDV-Beratung fest und stellen uns auf einen weiteren Anstieg der KDV-Anfragen ein. Dafür bauen wir ein neues bundesweites Berater*innen-Netz auf mit dem die DFG-VK wieder als die Verweigerer-Organisation wahrgenommen wird.
Unsere politischen Forderungen bleiben auf der Tagesordnung:
– Abschaffung jeglicher Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer. Das eigentlich unveräußerliche Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ist das einzige Grundrecht, das nur auf Antrag, Prüfung und Genehmigung erteilt wird. Diese Einschränkung muss beseitigt werden.
– Keine Wiedereinführung der Wehrpflicht und keine anderen Zwangsdienste.
Ratsuchende finden auf der DFG-VK Homepage www.dfg-vk.de unter „Informieren – Kriegsdienstverweigerung“ ausführliche Informationen und unsere Beratungsstellen.