Der Mainstream in Deutschland scheint sich in Bezug auf die Ukraine auf ein einheitliches Meinungsbild im wahrsten Sinne des Wortes „eingeschossen“ zu haben. Es gebe nur eine Lösung: Milliardenschwere Aufrüstung, Waffenlieferungen und Krieg statt Verhandlungen.
„Insgesamt wurden Waffenlieferungen in allen untersuchten Medien mehrheitlich als sinnvoll eingeschätzt“, heißt es in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die 4300 Beiträge deutsche Leitmedien zwischen Februar und Mai 2022 untersuchte. Die Politiker stoßen ins gleiche Horn.
Wird Militarismus in unserer künftigen Meinungsbildung verankert oder gibt es eine neue „Intelligenz“, welche eine pazifistische Sichtweise erlaubt?
Die Künstliche Intelligenz (kurz KI) von openAI, bekannt als ChatGPT, hat einen großen Hype ausgelöst, dessen Veränderungspotential mit der Erfindung des Buchdrucks oder Internets verglichen wird. ChatGPT ist eines der fortschriftlichsten Sprachmodelle, das menschenähnliche Konversation ermöglicht und auf mittlerweile 100 Billionen Parametern basiert. Es beantwortet Fragen, übersetzt Texte, hilft beim Programmieren und verfasst Gedichte im Stil berühmter Autoren. Nach offiziellen Angaben greife ChatGPT auf einen Datenbestand bis Ende 2021 zu, lieferte im Versuch auch konkrete Informationen zu Geschehnissen bis Ende Juni 2022. Die Nutzerzahl wird bereits auf über 100 Millionen weltweit geschätzt. KI wird zweifelsohne großen Einfluss auf das Meinungsbild haben. Da stellt sich natürlich die Frage, welches „Bild“ die Sprach-KI zu friedenspolitischen Themen vertritt, zumal es mit öffentlich verfügbaren Informationen gefüttert wird, daraus den Kontext zu verstehen lernt und in eigenen Worten wiedergibt.
Bei der Frage, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kann, schlägt die KI als erstes Verhandlungen vor: „Der Konflikt kann nur durch Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien beigelegt werden.“. Daruf folgen „sofortiger Waffenstillstand“, „Rückzug ausländischer Truppen“ und „Humanitäre Hilfe“.
Und Waffenlieferungen? „Es ist unwahrscheinlich, dass Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet der Ukraine den Frieden schaffen würden. Im Gegenteil, es besteht die Gefahr, dass die Lieferungen die Eskalation des Konflikts fördern und zu mehr Gewalt führen könnten.“
„Die Lieferung schwerer Kriegswaffen an Konfliktparteien kann sogar dazu führen, dass der Konflikt weiter eskaliert und die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung steigt.
Wenn der Krieg länger andauert, kann die Situation immer instabiler und gefährlicher werden. Die derzeitige Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung sollte nicht unterschätzt werden, und alle Beteiligten sollten ihre Anstrengungen verstärken, um Frieden zu erreichen und eine Eskalation zu vermeiden. Die Friedensbewegung setzt sich dafür ein, dass alle Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurückkehren und eine diplomatische Lösung des Konflikts suchen, um die Welt vor einer Katastrophe zu bewahren.“
Eine wichtige Rolle nehme dabei die internationale Gemeinschaft bei der Unterstützung von Friedensbemühungen und der Förderung von Konfliktlösung und Versöhnung ein.
Die KI betont immer wieder: „Der Fokus sollte auf diplomatischen, politischen und vor allem friedlichen Lösungen liegen, um langfristigen Frieden zu schaffen und unnötiges menschliches Leid und Zerstörung zu vermeiden.“ Zivilen Widerstand und die Stärkung der Fähigkeit zur gewaltlosen Konfliktlösung durch Kriegsdienstverweigerung sind weitere von der KI vorgeschlagene Lösungen.
Die KI macht Mut und nennt Beispiele für erfolgreiche Friedensverhandlungen, die zuvor für unmöglich gehalten wurden, wie das Karfreitagsabkommen 1998 in Nordirland, Äthiopien und Eritrea 2018, Kolumbien 2016, Ägypten und Israel 1978, Südafrika 1990.
Die KI ist sich der Auswirkungen des Militärs auf das Klima bewusst und schlägt Maßnahmen vor, um die Friedensbewegung zu stärken. Sie verfasst auch eine 5-minütige Ostermarsch-Rede und nennt wichtige Friedensaktivisten wie die Mitgründerin der DFG-VK Bertha von Suttner.
Die KI zeigt sich diplomatischer, lösungsorientierter, verantwortungsbewusster und friedensstiftender als die Akteure aus Medien und Politik. Auch wenn die KI behauptet kein Urteilsvermögen oder politische Überzeugungen zu haben, vermittelt sie dennoch eine Botschaft, die in unserem Sinne für Frieden und eine bessere Welt steht.
Bei aller Begeisterung über diese Perspektive sollten wir auch die folgenden Aspekte berücksichtigen: Wie können wir die Machtkonzentration von IT-Konzernen verhindern? Wer entscheidet darüber, welche Inhalte der KI bereitgestellt werden? Wie können wir den hohen Energiebedarf lösen? Am 23. März sprach das Institut „Future of Life“ sogar von einem „außer Kontrolle geratenen Wettlauf um die Entwicklung und den Einsatz immer leistungsfähigerer KI-Systeme, die niemand verstehen, vorhersagen oder zuverlässig kontrollieren kann“ und fordert zusammen mit IT-Forschern und Investoren die 6-monatige Unterbrechung des Training von KI-Systemen. Hier geht es primär darum, einen globalen ethischen Rahmen für KI umzusetzen, damit später „Die Menschheit sich einer blühenden Zukunft mit KI erfreuen kann.“ und „die Systeme zum klaren Nutzen aller entwickelt werde“. Dieses Institut, welches sich zur Aufgabe gemacht hat, „Transformationstechnologie in Richtung Nutzen für das Leben und weg von extremen Großrisiken zu lenken“, beschäftigt sich übrigens auch mit den Risiken von Atomwaffen.
Dieser Beitrag erscheint in der Mai-Ausgabe 2023 der Zivilcourage.
Zum Autor:
Frank Chudoba (54)
Mitglied des Landessprecherkreises DFG-VK Baden-Württemberg
Web Developer, Referent Digitalisierung
Quellenangaben:
Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg
https://www.otto-brenner-stiftung.de/sie-moechten/sich-ueber-aktuelles-informieren/detail/news/die-qualitaet-der-medienberichterstattung-ueber-den-ukraine-krieg/news-a/show/news-c/NewsItem/
Deutschlandfunk, 15.12.2022
Studie: Medien überwiegend für Waffenlieferungen an Ukraine
https://www.deutschlandfunkkultur.de/studie-medien-ueberwiegend-fuer-waffenlieferungen-an-ukraine-100.html
Offener Brief von „Future of Life“:
https://futureoflife.org/open-letter/pause-giant-ai-experiments/
FAQ zum offenen Brief: (vom 31.03.2023)
https://futureoflife.org/ai/faqs-about-flis-open-letter-calling-for-a-pause-on-giant-ai-experiments/
Eritreisch-Äthiopischer Krieg
https://de.wikipedia.org/wiki/Eritreisch-%C3%84thiopischer_Krieg
Bewaffneter Konflikt in Kolumbien
https://de.wikipedia.org/wiki/Bewaffneter_Konflikt_in_Kolumbien
Camp-David-Abkommen
https://de.wikipedia.org/wiki/Israelisch-%C3%A4gyptischer_Friedensvertrag
https://de.wikipedia.org/wiki/Camp-David-Abkommen
Kriege und Konflike in Südafrika
https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/54809/suedafrika/
Libanon-Konflikt
https://www.spiegel.de/politik/ausland/chronologie-der-libanon-konflikt-a-78026.html