von Hans Decruppe
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
für eure Einladung, aus Anlass des Zusammenschlusses der Deutschen Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IDK) und des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer (VK) zur DFG-VK vor 50 Jahren – in Bonn am 24 November 1974 – hier zu sprechen, möchte ich mich sehr herzlich bedanken. Ich freue mich unter euch zu sein und grüße euch herzlich.
Ich bin kein Historiker, ich war Aktivist an der Basis und versuche, auch jetzt aktiv zu sein, wo es mir möglich ist. Am Mittwoch dieser Woche war ich beim Verwaltungsgericht in Köln zur Unterstützung und aus Solidarität mit der Klage unseres Freundes Hermann Theisen gegen das Verteidigungsministerium auf Beachtung des Friedensgebotes des Grundgesetzes und der Achtung des Völkerrechts, gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Und natürlich vorgestern auf der großen und ermutigenden Friedensdemonstration am Großen Stern in Berlin.
Ich hatte zunächst vor, meinen Beitrag mit Fotos zu illustrieren, um jene Zeit besser betrachten zu können. Das hat sich leider nicht als realistisch erwiesen. Ich hoffe, ich kann die Zeit auch so anschaulich genug darstellen, natürlich aus subjektiver Sicht. Und dabei auch im Kontrast zur derzeitigen politischen Großwetterlage. Einer Schlechtwetterlage muss ich wohl sagen, was Pazifisten jedoch noch nie davon abgehalten hat, das richtige zu sagen und das notwendige zu tun.
Die Fusion zur DFG-VK war – wie vieles Anfang der 70er Jahre – ein von großem Optimismus geprägter Aufbruch. Die vom Vereinigungskongress verabschiedete Gründungsurkunde macht das sehr deutlich. Dort heißt es u.a. – ich zitiere:
„Die Konstituierung der vereinigten Kriegsdienstgegner ist eine Kampfansage an Drohpolitik, Aufrüstung und Militarismus, sie ist ein Bekenntnis zu Koexistenz, Gewaltverzicht, Abrüstung und Frieden. Weil die Verhinderung des Krieges zur lebensnotwendigen – weil allein lebenserhaltenden – Aufgabe geworden ist, deshalb ist die Konstituierung der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner eine historische Notwendigkeit. Gemeinsamkeit ist unsere Stärke!“
Diese Urkunde weist uns – den Pazifisten – eine geschichtliche und deshalb nach wie vor aktuelle gesellschaftspolitische Funktion zu. Und das finde ich schon bemerkenswert – im Vergleich mit der heutigen Zeit, in der Militarisierung –Vorrang des Militärischen in allen Bereichern, um Kriegstüchtigkeit zu erzielen – und Bellizismus – im moralisch verkleideten Tarnanzug – als Teil einer erschreckenden Rechtsentwicklung – national wie international – den Ton angeben.
Obwohl Krieg und Frieden historische Kategorien sind, trauen sich – so mein Eindruck – nur wenige, in den aktuellen Konflikten und Kriegen historisch zu argumentieren. Wer das tut, wird im öffentlichen Diskurs schnell abgekanzelt. Wer zur Vorgeschichte des Ukrainekriegs fragt, wird als „Putinversteher“ verleumdet. Wer nach der Vorgeschichte des Gazakrieges fragt, wird zum Antisemiten gestempelt. Wer mit Fakten darauf hinweist, dass Aufrüstung in der Geschichte noch nie Krieg verhindert hat und dass Frieden zwischen Feinden Diplomatie und Verhandlung voraussetzt, was Bereitschaft zum Kompromiss einschließt, ist ein Lumpenpazifist.
Was für eine Perversion, liebe Freundinnen, liebe Freunde: Die Lumpen, die wahren politischen Lumpen waren zu allen Zeiten und sind auch heute die Kriegstreiber in Regierungsämtern, in den Medienhäusern und den Rüstungsschmieden. Für uns damals – vor 50 Jahren – war das Erkennen historischer Traditionslinien und das Analysieren gesellschaftlicher sowie internationaler Konflikte und Interessenlagen ein maßgeblicher Treiber des friedenspolitischen Engagements. Es hatte einen einfachen Grund:
Die Politisierung der KDV-Bewegung.
Immer mehr Wehrpflichtige verweigerten unter Berufung auf das Grundgesetz den Kriegsdienst mit der Waffe. Zunächst waren es wenige, die sich trauten, Ende der sechziger Jahre aber schon deutlich über 10-Tausend jährlich und im Jahr der Gründung der DFG-VK fast 35-Tausend. Die Vorläuferorganisationen der DFG-VK hatten an diesem Aufschwung maßgeblichen Anteil, insbesondere durch Aufklärung in den gemeinsamen Kampagnen „4/3“ und dann „Grundrecht schützen“. Zum 25. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1974 gab es mit einer Großkundgebung in der völlig überfüllten Beethovenhalle in Bonn einen grandiosen Höhepunkt. Und natürlich spielte die Beratung der Kriegsdienstverweigerer in einer Vielzahl von Beratungsstellen mit entsprechender Selbstorganisation eine Rolle. Die Politisierung hatte einen einfachen Mechanismus: Wer den Kriegsdienst verweigerte, musste sich rechtfertigen. Einerseits in einem rechtsstaatlich mehr als fragwürdigen Anerkennungsverfahren – einer absurden „Gewissensprüfung“. Aber man musste sich auch öffentlich erklären, nicht nur gegenüber Eltern und Verwandten; auch in der Schule, im Freundeskreis, im Sportverein und wo auch immer hatte die individuelle Entscheidung eine breite, nicht zu unterschätzende gesellschaftspolitische Ausstrahlungswirkung. Und das in einer Zeit, in der die politische und militärische Konfrontation der großen Militärblöcke die Weltpolitik prägte, die globale Hegemonie der USA war noch ungebrochen und koloniale und neokoloniale Herrschaft sicherte den wirtschaftlichen Wohlstand der „freien Welt“, wie es damals hieß. Der grausame, verbrecherische Krieg der USA gegen Vietnam – mit Flächenbombardements, chemischen Waffen und Napalm – bestimmte die Nachrichten Ende der 60er- und Anfang der 70er Jahre.
Und – wie immer – gleichzeitig gab es hoffnungsvolle, wenn auch widersprüchliche Tendenzen einer alternativen Entwicklung. Die Nelkenrevolution in Portugal vom 25. April 1974 zum Beispiel, fortschrittliche Offiziere beendeten die seit 1933 bestehende Diktatur des Salazar-Regimes in Portugal und damit zugleich die blutigen Kolonialkriege in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau. Die 1967 nach einem Nato-Plan „Prometheus“ mit CIA-Unterstützung an die Macht gepuschte Militärjunta in Griechenland war im Juli 1974 ebenfalls am Ende. Aber vor allem die neue Ostpolitik der damaligen Bundesregierung unter Willy Brandt ließ bei allen, die auf Frieden und Abrüstung setzten, große Hoffnungen aufkeimen. Der Friedensnobelpreis an den SPD-Politiker, eine Anerkennung für den Abschluss des Atomwaffensperrvertrages (korrekt: Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen)1969, für den Gewaltverzichtsvertrag mit der Sowjetunion in 1970 und für den sog. Warschauer Vertrag, in dem mit Polen der Verzicht auf jedwede Gebietsansprüche erklärt wurde – gegen erbitterten Widerstand von CDU/CSU und der Revanchistenverbände – war ein Zeitzeichen.
Brandts Nobelpreisrede vom 11. Dezember 1971 bleibt ein Manifest, ich zitiere: „Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen. Kein nationales Interesse lässt sich heute noch von der Gesamtverantwortung für den Frieden trennen. Jede Außenpolitik muss dieser Einsicht dienen.“
„Jede Außenpolitik!“ – Wer sagt das mal unserer derzeitigen Außenministerin, wenn sie wieder Unsinn redet, z.B. vom „Krieg gewinnen“ (Tagesspiegel 02.06.22) oder vom „Russland ruinieren“ (RND 25.02.22). Ich habe am 14. März 1973 meinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt – als Zeitsoldat der Bundeswehr. Wie viele andere hatte ich ernsthaft geglaubt, mit einem Dienst an der Waffe etwas für den Frieden tun zu können. Die uralte Propaganda „Si vis pacem para bellum“ – also: „Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor“ hatte ihre Wirkung auch bei mir nicht verfehlt.
Ich bin nach dem Krieg geboren. Trotzdem– wie viele meiner Generation – die Folgen des Krieges habe ich noch hautnah miterleben müssen: in der Person des Vaters. Als Landarbeiter groß geworden und nach dem Krieg von Beruf Packer in einer Textilfabrik wurde seine Jugend erst durch den Reichsarbeitsdienst militarisiert und durch die Wehrpflicht für die verbrecherischen Überfälle auf unsere europäischen Nachbarn missbraucht. Auch nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in Russland, sie dauerte für ihn bis Dezember 1949 ‐ viereinhalb Jahre länger als der Krieg ‐, trug er den Krieg noch in sich ‐ für Jahrzehnte. Er hatte Magengeschwüre und eine Vielzahl von Granatsplittern steckten in seinem Körper, begannen Jahre später zu wandern und zu eitern. Und ich hatte den Eindruck: auch seine Seele eiterte. Denn über die Zeit des Krieges konnte er nicht sprechen; und ich – zumal noch als Kind – war nicht in der Lage, ihn zu fragen. Über der Geschichte des Krieges lag Schweigen und Verdrängung.
Ich fragte mich nur: Wieviel Leid muss dieser Krieg über die Menschen gebracht haben? – Das zu verhindern, brachte mich zur Bundeswehr. Und dann zur Verweigerung. Ich wollte nicht länger, dazu bereit sein müssen, was ich aus Grundüberzeugung ablehnte. Und ich erkannte eine zweite Unlogik: Das „Gleichgewicht des Schreckens“, das vorgeblich den Frieden sicherte, war die maßgebliche Triebkraft des Wettrüstens. Jede daran beteiligte Seite ist schließlich von der Sorge bzw. der wahnhaften Vorstellung getrieben, die andere Seite könne womöglich einen Rüstungsvorteil haben und deshalb müsse das Gleichgewicht durch eigene vorsorgliche Anstrengungen – propagandistisch gern als „Nachrüstung“ bezeichnet – wiederhergestellt werden. Dem Feind kann und darf man ja schließlich politisch nicht trauen.
Ich hatte Glück und wurde schon nach drei Monaten in erster Instanz als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Und aus der Bundeswehr entlassen. Solche wehrkraftzersetzenden Gestalten wie mich konnte man als Soldat nicht gebrauchen. Andere Verweigerer hatten es wesentlich schlechter: Sie wurden nicht anerkannt und – wenn sie sich gleichwohl weiter weigerten – disziplinarisch mit Arrest bestraft oder strafrechtlich verfolgt. Das „Schwarzbuch Kriegsdienstverweigerung“, das die beiden KDV-Verbände 1974 herausgaben, dokumentiert Fälle dieser politischen Verfolgung in jener Zeit. U.a. auch die Kriminalisierung der KDV-Beratung, und zwar auf Grundlage eines Gesetzes, das schon den Nazis bei der Verfolgung jüdischer Juristen gedient hatte, gegen Rechtsanwälte, denen zuvor ihre Zulassung aus Rassegründen entzogen worden war.
Ich machte fortan Zivildienst im Krankenhaus meiner Heimatstadt. Das brachte mich – wie tausende andere Verweigerer damals – erstmals in Kontakt zu den KDV-Verbänden, die Anfang der 70er Jahre – vor 50 Jahren – einen rasanten Aufschwung nahmen. Ich will NRW als Beispiel nehmen, weil ich dort über 20 Jahre im Landesvorstand tätig war:
Allein im Zeitraum 1970 bis 72 stieg in NRW die Zahl der Ortsgruppen der DFG-IDK von 23 auf 44 (praktisch eine Verdoppelung) und erhöhte sich bis Ende 1974 weiter auf insgesamt 60 Gruppen. Es entstanden Gruppen vor allem auch im ländlichen Bereich. So auch in meiner Heimatstadt Emsdetten im Münsterland, einer Kleinstadt mit damals weniger als 30-Tausend Einwohnern. Gleichzeitig arbeiteten in NRW Ende 1974 rund 30 Ortsgruppen des VK. Nach der erfolgreichen Fusion der KDV-Verbände und ihrer Umsetzung auch auf Ortsebene und einer Bereinigung der Mitgliederzahlen konsolidierte sich bis Juni 1975 die Zahl in NRW auf 62 aktive Ortsgruppen mit insgesamt 4.120 Mitglieder.
Ich selbst hatte mich 1973 bewusst für eine Doppelmitgliedschaft entschieden – in beiden Verbänden, gründete aber mit rund 30 Freundinnen und Freunden in Emsdetten eine DFG-IDK Gruppe. Das Programm des VK empfand ich als zu verbalradikal, schätzte aber die hervorragende KDV-Beratung. Beim VK spürte man den Einfluss der Universitätsstädte und die studentisch geprägten sozialistisch-revolutionär Debatten im Nachgang der 68er Studentenbewegung. Bei der DFG-IDK empfand ich Sprache und Argumentation überzeugender und gewinnender. Die große pazifistische Tradition war programmatisch lebendig – bekenntnistragend und erkenntnisschaffend zugleich.
Der Beitritt zu den KDV-Verbänden eröffnete tausenden junger Mitglieder – wie mir – den Zugang zu einer politischen Welt und zu historischen Erkenntnissen, zu einer gesellschaftspolitischen Erfahrungswelt, die zuvor vielfach verschlossen war. Wie schon gesagt: Schweigen und Verdrängen waren damals noch prägend. Mein Geschichtsunterricht in der Schule endete vor dem zweiten Weltkrieg. Die unfassbare Dimension des Kriegsterrors, den die Naziwehrmacht im deutschen Namen nach dem 1. September 1939 verübte, war kein Thema. Die Verbrechen, insbesondere in Polen und Russland, d.h. der damaligen Sowjetunion, die aktive und systematische Beteiligung der Wehrmacht an der mörderischen Verfolgung der Juden und nationalen Minderheiten waren Tabu. Die antikommunistische Ausrichtung des Krieges, z.B. mit dem sog. Kommissarbefehl, in dem es heißt: „Die Truppe muss sich bewußt sein: In diesem Kampf ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch.“ völlig unbekannt.
Im „Kalten Krieg“ musste schließlich verschwiegen werden, dass es Nazi‐Generale und Offiziere waren, die Hitler willig und treu gedient hatten und die – erst geheim und hinter dem Rücken von Parlament und Öffentlichkeit ‐ die Wiederbewaffnung und Remilitarisierung der Bundesrepublik betrieben hatten – im Auftrag von Adenauer und den Besatzern der USA.
Aktuell wird ja viel über Brandmauern zu Nazis geredet. Rückblickend hat das für mich schlimmste Züge von historischer Heuchelei. In der Studentenbewegung der 68er hieß es: „Unter den Talaren der Muff von 1.000 Jahren!“ Aber es war nicht nur Muff, es waren vielfach Nazi-Täter unter den Talaren. – Die gesamte Politik des frühen Nachkriegsdeutschland, die Ministerien, die Parlamente, die Wissenschaft, der Justiz- und Polizeiapparat, alle gesellschaftlichen Bereiche war bis in die späten 60er Jahre tiefbraun durchsetzt. Die „alten Kameraden“ aus der NS-Zeit sorgten wechselseitig dafür, dass die Verbrechen, an denen sie in der Nazizeit und im Krieg beteiligt waren, nicht ans Tageslicht kamen und dass sie insbesondere nicht trafrechtlich belangt wurden. Und heute wundert man sich über die AfD und über Leute wie Höcke! – Ja, man muss das immer wieder ansprechen, wo die Wurzeln liegen. Das gilt jedenfalls für den Westen. Für den Osten muss man sicher anders diskutieren.
Die Befassung mit Geschichte war für uns junge Pazifisten damals oft Neuland und Pflicht zugleich. Und natürlich die Befassung mit der eigenen Geschichte der Friedensbewegung und dem antimilitaristischen Widerstand. Schließlich waren in den Verbänden nicht nur junge Verweigerer aktiv, prägend waren erfahrene Ältere, die den Kampf gegen die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren geführt hatten, z.B. die „Aktion Jahrgang 22“ gegen die Einberufung des kriegsgedienten Geburtsjahrgangs 1922 (35% der Männer dieses Jahrgangs waren im Krieg gefallen, gleichwohl sollten sie wieder ran), oder beim Kampf dem Atomtod oder die, die die deutsche Ostermarschbewegung im Jahr 1960 ins Leben gerufen hatten. Der Staffelstab des politischen Pazifismus wurde an uns Jüngere weitergegeben. Ich glaube erfolgreich. Er musste auch weitergereicht werden. Sechs Jahre zuvor – 1968 – hatte es in München schon die Vereinigung der IDK mit der Deutschen Friedensgesellschaft gegeben. Allein schon notwendig aus Altersgründen: Die Mitgliedschaft der DFG war extrem hoch betagt gewesen, wie mir damals berichtet wurde. Das Durchschnittsalter der Ortsgruppenvorsitzenden der DFG lag beim Zusammenschluss mit der IDK bei über 70 Jahren.
Diese Vorgänger-Fusion ist auch insofern bedeutsam, als hier unterschiedliche Traditionslinien des Pazifismus zusammengeführt und fortgeschrieben wurden. Der völkerrechtlich orientierte Pazifismus der DFG mit der Forderung nach Abrüstung und einer internationalen Friedensordnung einerseits und anderseits der radikale und individuell-aktivistische Ansatz der Ablehnung militärischer Sicherheitspolitik der IDK. Die IDK brachte zudem einen weiteren fruchtbaren Ansatz ein: den des innerverbandlichen politischen Pluralismus, bei der Mitgliedschaft nicht nach Weltanschauung und Parteizugehörigkeit zu fragen, sondern – als Bündnis nach innen wie nach außen – die Zusammenarbeit mit allen zu suchen, mit denen konkrete gemeinsame friedenspolitische Zielsetzungen bestehen. In der Zeit des Kalten Krieges – der schließlich auch innenpolitisch brutal und ausgrenzend geführt wurde – war das keine Selbstverständlichkeit. Zu jener Zeit – 1968 – war der VK noch nicht bereit für eine Fusion, innerlich zu sehr zerstritten. In der Folgezeit mussten sogar Räte-sozialistische Vorstellungen überwunden werden; zeitweilig war sogar die Gewaltverzichtsklausel aus der Satzung des VK gestrichen worden, wenn auch rechtlich unwirksam.
Erst mit der neuen Ostpolitik gewannen auch im VK die Kräfte, die auf Gewaltverzicht, Völkerverständigung und internationale Abrüstungsabkommen setzten größeres Gewicht. Das machte den VK wieder pazifistisch anschlussfähig und den Weg frei für die Vereinigung mit der DFG-IDK. Es waren allesamt wichtige Traditionslinien, die dann 1974 in die Fusion mit dem VK zur Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner eingeflossen sind. Sie führten auch dazu, dass die DFG-VK im Kampf gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen (Pershing II und Cruise Missiles) Anfang der 80er Jahre eine zentrale und mobilisierende Rolle wahrnehmen konnte. Z.B. bei der erstmaligen – aber heute vergessenen – gemeinsamen Demonstration von Friedens- und Umweltbewegung im Oktober 1980 in Lingen unter dem Motto „Gegen Rüstung und Atom!“, organisiert gemeinsam mit dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Diese Kooperation von DFG-VK und BBU war u.a. konstitutiv für die Bündnisstruktur der Friedensbewegung, die Anfang der 80er Jahre entstand.
Der innerverbandliche Bündnischarakter hatte sich qualitativ entwickelt hin zu einer gesellschaftspolitischen „Scharnierfunktion“. Dazu ließe sich vieles mehr sagen. – Aber ich möchte zum Schluss kommen: Heute sehe ich die globale Konfliktstruktur wesentlich komplexer und zugleich viel bedrohlicher. Vor 50 Jahren – einem halben Jahrhundert – gab es eine verfestigte Konfrontation hochgerüsteter Militärblöcke, aber bei genauer Betrachtung nur eine global agierende und auf allen Feldern weltbeherrschende Großmacht – die USA. Heute haben sich wesentliche Teile der Welt von dieser US-Hegemonie emanzipiert. Selbst abhängige Staaten, wie Israel, lassen sich ihr politisches und militärisches Handeln nicht vorschreiben, wie die extrem bedrohliche Eskalation des Krieges im Nahen Osten aktuell zeigt. Indien, Brasilien, Südafrika und vor allem China, das den Aufstieg von einem „Dritte-Welt-Land“ zu einem globalen Player geschafft hat, fordern die USA ökonomisch, politisch aber auch militärisch heraus.
Wir erleben eine sich dramatisch wandelnde Weltordnung – hin zu multipolaren Strukturen. Es besteht die reale Gefahr, dass Großmächte (aber auch kleinere Mächte) versuchen, ihren Abstieg in diesem Wandel mit militärischen Mitteln aufzuhalten. Vielleicht gehört der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hierzu. Oder dass aufstrebende Mächte versuchen, ihren Aufstieg und Einfluss durch aggressive Politik zu beschleunigen. Die Lunte der Gewaltpolitik brennt an vielen Orten. Diese Gefährdung ist nicht zu unterschätzen und kann jederzeit außer Kontrolle geraten, durch politische Fehleinschätzung, menschliches oder technisches Versagen.
Vor diesem Hintergrund bleibt die Konstituierung der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner vor 50 Jahren Vermächtnis und Verpflichtung zugleich. Mit Forderungen, die damals wie heute aktuell sind: Die Waffen müssen schweigen! Sofort und überall. – Das fordert das Völkerrecht – in Artikel 2 Ziffer 3 der UN-Charta. Das Völkerrecht bindet und verpflichtet über Artikel 25 des Grundgesetzes jede Bundesregierung und zugleich alle Bürgerinnen und Bürger, dieses Recht zu verteidigen und durchzusetzen. Die Schraube der militärischen Eskalation und Konfrontation muss gekontert werden. Aufrüstung und Waffenexporte müssen gestoppt werden. Droh- und Gewaltpolitik muss ersetzt werden durch Diplomatie und Verhandlungen, durch Verständigung und konsequente Abrüstung.
Ich danke herzlich für eure Aufmerksamkeit!
Hans Decruppe